Menschliche Leistung im Kontext von KI - #kAIneEntwertung 💬

Dr. Anika Limburg und Joscha Falck haben in einer Blogparade dazu aufgerufen, gemeinsam über menschliche Leistung im Kontext von KI nachzudenken.

Sie thematisieren, dass generative KI immer mehr Aufgaben übernimmt, die vor Kurzem noch Ausbildung, Begabung und viel Übung erforderten. Dadurch geraten traditionelle Vorstellungen von Leistung unter Druck – mit weitreichenden Folgen für Prüfungen, Noten und Zertifikate, aber auch für unser gesellschaftliches und persönliches Verständnis von Wert und Leistung.

Im Rahmen der Diskussion möchte ich mich speziell mit Blick auf die Berufsbildung einbringen. Ich orientiere mich dazu an den nachfolgenden drei Leitfragen zum Thema:

➤ Sind Prüfungen, Noten und Zertifikate noch Ausdruck individueller Leistung?

➤ Welchen Stellenwert kann Textproduktion als akademische Leistung noch beanspruchen?

➤ Wie gehen wir damit um, dass Berufsfelder verschwinden, Kompetenzen sich verschieben und Ungleichheiten sich vertiefen?

Schaut auch unbedingt in den Auftaktbeitrag rein, wo sämtliche Diskussions- und Meinungsbeiträge zum Thema zu finden sind. Zusätzliche Kommentare und Gedanken finden sich in den begleitenden LinkedIn-Beiträgen (hier, hier).

Meine Antworten und Gedanken ✍️

➤ Sind Prüfungen, Noten und Zertifikate noch Ausdruck individueller Leistung?

Es ist unbestritten, dass Schulen auch in Zeiten von KI weiterhin eine Allokationsfunktion haben und in diesem Zuge Noten vergeben und Zeugnisse ausgestellt werden müssen.

Problematisch wird es jedoch, wenn nun jene Schüler:innen die besten Noten erhalten, die am effektivsten KI zur Bearbeitung von Schulaufgaben nutzen, womöglich begünstigt durch besonders leistungsfähige, meist kostenpflichtige Tools, die vornehmlich Schüler:innen aus finanzstarken Elternhäusern zur Verfügung stehen, .

Genauso kritisch ist ein KI-Verbot im Unterricht zu werten, welches jene bevorteilt, die heimlich KI nutzen und den Einsatz geschickt kaschieren können. Verlassen sich Lehrkräfte hierbei noch auf unsichere wie fragwürdige KI-Erkennungstools, wird die Ungerechtigkeit weiter zementiert. Notengebung und Prüfungen werden dann zur Farce.

Die Lösung ist eine Anpassung der schulischen Aufgaben- und Prüfungskultur, die den KI-Einsatz adressiert und auch neue und veränderte Bewertungsschwerpunkte berücksichtigt. Ziel muss es sein, die Bewertung persönlicher und eigenständiger Leistung weiterhin sicherzustellen.

Leistungen, die ko-kreativ mit KI erbracht werden, gelten für mich in diesem Zuge als anerkennungsfähige Leistungen, sofern der menschliche Beitrag erkennbar und transparent nachgewiesen ist.

Hierzu setze ich in meinem Unterricht konsequent auf KI-Dokumentation und KI-Reflexion:

  • Welche KI-Tools wurden für welchen Zweck genutzt?

  • Wie wurden KI-Outputs überprüft und eingeordnet?

  • Welche Prompt-Iterationen wurden aus welchen Gründen vollzogen?

  • Welche Entscheidungen wurden im Zuge der Ko-Aktivität getroffen, welche Gedanken wurden verworfen?

Wenn ein Lernprodukt an Aussagekraft verliert, weil Ergebnisse mithilfe von KI schneller und qualitativ besser erstellt werden können, muss zudem der Lernprozess stärker in den Fokus rücken. Dies betonen Joscha Falck und ich auch in unserem Leitfaden Prüfen und Bewerten mit KI, den wir im Mai 2025 veröffentlicht haben.


➤ Welchen Stellenwert kann Textproduktion als akademische Leistung noch beanspruchen?

In jüngeren Jahrgangsstufen bleibt das hilfsmittelfreie Schreiben von Texten wichtig, in höheren Jahrgangsstufen und vor allem im Hochschulbereich ist KI-gestütztes Schreiben jedoch die neue Realität. Auch in der beruflichen Bildung ist das kollaborative Verfassen von Texten mithilfe von KI zunehmend gelebte Praxis - sei es bei Projekt- und Hausarbeiten oder mit Ausblick auf die Berufs- und Arbeitswelt beim Verfassen von E-Mails und Kundenbriefen.

Mit KI-Unterstützung lassen sich so mittlerweile ohne Weiteres fehlerfreie und grammatikalisch einwandfreie Texte produzieren. Mit geringem Aufwand und etwas Prompting-Geschick sind KI-Tools mittlerweile auch in der Lage, den persönlichen Schreibstil zu adaptieren und zu imitieren.

Schreiben bleibt aber weiter ein vielschichtiger und anspruchsvoller Prozess, selbst wenn KI-Tools zum Einsatz kommen. Um inhaltliche Tiefe zu erzeugen und Neues zu schaffen, braucht es im Zuge des Schreibprozesses weiter umfassende Recherche, eine intensive Auseinandersetzung mit Inhalten, ein Planen, Strukturieren, Entwerfen, Verwerfen und Weiterentwickeln (vgl. Brägger et al., 2025) – insbesondere bei anspruchsvoller Textproduktion im akademischen Kontext.

Durch KI-Einsatz verschiebt sich jedoch der Fokus im Schreibprozess. Das Ausführen im engeren Sinne, also das grammatikalisch korrekte und formal fehlerfreie Schreiben, wird immer mehr an KI ausgelagert werden können. Der menschliche Schwerpunkt rückt noch stärker auf Recherche, Ideengenerierung und inhaltliche Auseinandersetzung, selbst wenn in diesen Phasen des Schreibprozesses KI ko-kreativ zum Einsatz kommt. Folglich kann der bewusste und zielführende Einsatz von KI-Tools Schreibprozesse erweitern, verdichten und in Teilen beschleunigen.

Eigenständiges Schreiben behält seinen Stellenwert, da nicht zwangsläufig eine Entwertung, sondern eine Umwertung von Leistung erfolgt. Unabhängig vom KI-Einsatz bleibt aus meiner Sicht die Fähigkeit entscheidend, originelle, passgenaue und kreative Texte zu verfassen, die nicht nur inhaltliche Tiefe aufweisen, sondern je nach Textart auch emotional berühren können.

➤ Wie gehen wir damit um, dass Berufsfelder verschwinden, Kompetenzen sich verschieben und Ungleichheiten sich vertiefen?

Diese Frage beschäftigt mich als Berufsbildner in besonderem Maße, da ich erste Auswirkungen bereits unmittelbar in meinem schulischen Umfeld wahrnehme. Am deutlichsten erlebe ich die Veränderungen in kaufmännischen Ausbildungsberufen mit kreativem oder technischem Schwerpunkt - konkret in den Berufsbildern Kauffrau/-mann im E-Commerce sowie Kauffrau/-mann für Marketingkommunikation, in denen ich unterrichte.

Immer mehr Aufgaben, die in die Tätigkeitsfelder dieser Ausbildungsberufe fallen, können perspektivisch durch KI ersetzt oder automatisiert werden. Während dies gegenwärtig noch überwiegend Routineaufgaben sind, zeichnen sich bereits erhebliche Folgen für die Kernaufgaben der betroffenen Berufsbilder ab. Hierzu zählen etwa die strategische Planung, Konzeption und Umsetzung umfangreicher Kampagnen im Marketing-Bereich oder die daten- und kennzahlengestützte Analyse und Optimierung von Online-Shops im E-Commerce. Es ist absehbar, dass KI künftig auch diese komplexen Aufgaben weitgehend übernehmen können wird, gerade in Hinblick auf KI-Agentensysteme und immer leistungsfähigere, agentische KI-Workflows.

Diese Erfahrung steht für mich stellvertretend für viele Berufsbilder, die gegenwärtig massiv unter Druck geraten. Auch vor dem Hintergrund der von Joscha Falck und Dr. Annika Limburg angeführten Harvard-Studie (Hosseini & Lichtinger, 2025), die den drastischen Rückgang der Beschäftigungschancen von Berufsanfänger:innen dokumentiert, ist diese Entwicklung als höchst alarmierend einzustufen.

Hieraus leite ich einen Auftrag für Lehrkräfte aller Schulformen ab: Schüler:innen müssen weiter auf eine Welt mit KI vorbereitet werden!

In diesem Zuge gilt es, Zukunftskompetenzen (Kommunizieren, Kollaborieren, Kreativität, kritisches Denken) sowie immer wichtiger werdende KI-Kompetenzen (Verstehen, Anwenden, Reflektieren, Mitgestalten) stärker in den Blick zu nehmen und im Unterricht systematisch zu fördern. Das von Susanne Alles, Joscha Falck, Regina Schulz und mir gemeinsam entwickelte KI-Kompetenzmodell für Lehrende und Lernende (vgl. Alles et al. 2025) kann in diesem Zuge als Orientierung dienen.

Schülerinnen sollen so befähigt werden, KI nicht als Abkürzung im Lernprozess, sondern konstruktiv, reflektiert und flexibel als Werkzeug einzusetzen, das die eigenen Möglichkeiten erweitert. Im Sinne von AI-Leadership nach Prof. Doris Weßels (2024), geht es übergeordnet darum, eine verantwortungsvolle und werteorientierte Steuerungs- und Gestaltungskompetenz im Zusammenspiel mit KI zu entwickeln.

Hinzu kommen für mich die Betonung von lebenslangem Lernen in einer sich immer schneller verändernden Welt, sowie die Förderung und Entwicklung von Ambiguitätstoleranz als Future Skill, um Unsicherheiten aushalten, mit dem Nebeneinander verschiedener, Perspektiven umgehen und Mehrdeutigkeit aushalten zu können (vgl. Buck 2025).

Wir müssen dennoch anerkennen, dass Berufsbilder nicht nur verschwinden, sondern durch KI auch neue entstehen können und sich Tätigkeitsprofile bestehender Berufe wandeln. Von der aktuellen Entwicklung sind zudem primär kognitive, wissensbasierte Tätigkeiten (White-Collar) betroffen; im Gegenzug könnten handwerkliche Tätigkeiten im Wert steigen, insbesondere dort, wo Automatisierung auch zukünftig schwer umsetzbar ist.

Auf dem Arbeitsmarkt werden aus meiner Sicht künftig vor allem jene bestehen können, die zukunftsfeste Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbringen, welche in Schulen frühzeitig und ganzheitlich angebahnt werden müssen.

Fazit 📍

Menschliche Leistung im Kontext von KI verändert sich. Dabei kommt es aus meiner Sicht nicht zu einer generellen Entwertung, sondern eher zu einer Umwertung menschlicher Leistung und Arbeit.

Neue Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten rücken in den Fokus. Schule und Gesellschaft sind gefragt, das Verständnis von Leistung neu auszutarieren. Bei der schulischen Leistungsbewertung müssen neue Wege gegangen und Prüfungsformate an die neuen Realitäten angepasst werden.

Lieber Joscha, liebe Anika, vielen Dank für diesen Aufruf zum Austausch und gemeinsamen Nachdenken. Ich freue mich sehr auf die weiteren Einreichungen und Beiträge!

Quellen

Alles, S., Falck, J., Flick, M., & Schulz, R. (2025). KI-Kompetenzen für Lehrende und Lernende. Aus der Praxis für die Praxis – eine adaptierbare Basis. VK: KIWA. https://doi.org/10.5281/zenodo.15047793

Brägger, G., Falck, J. & Pölert, H. (2025). IQES-Leitfaden: Schreiben mit, ohne und trotz Kl. IQES online.

Buck, I. (2025, 10. Januar). Toolifizierung & Ambiguitätstoleranz. Oder: Bitte nicht noch ein KI-Tool. Abgerufen am 22. September 2025, von https://isabella-buck.com/toolifizierung-ambiguitaetstoleranz-oder-bitte-nicht-noch-ein-ki-tool/

Lichtinger, G., & Hosseini Maasoum, S. M. (2025, 31. August). Generative AI as Seniority-Biased Technological Change: Evidence from U.S. résumé and job posting data [Working paper]. Harvard University, Department of Economics. Abgerufen am 22. September 2025, von https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=5425555

Weßels, D. (2024). AI Leadership als Königsdisziplin. changement! Das Magazin für Veränderungsprozesse, S. 10–11. Abgerufen am 22. Februar 2025, von https://shop.zeit.de/changement-Ausgabe-06-2024-Alternativlos/48627

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